Die Blumen-
mechanikerin
In der Blumengarage Augenweid entsteht neben
Motorrad und Fahrrädern Blumiges. Ein Besuch hinter dem Albis.
«Wenn du bei so Münggelidings nicht mit der Migros mithalten kannst, dann verkauf’s einfach nicht!» Mit «Münggelidings» meint Jeannine Ravanello die Blumentöpfchen auf dem Tisch vor uns. Wir sitzen in einem Restaurant im aargauischen Berikon, einer Nachbargemeinde von Oberwil-Lieli, wo Ravanello seit 16 Jahren wohnt. Seit sieben Jahren arbeitet sie auch dort – in ihrer Garage.
Nach der Lehre verschlug es sie bald in den Blumen-Engroshandel. Nach einem Zwischenstopp in einem Blumenladen sei sie ins Büro gerutscht. Die Arbeit als Floristin vermisste sie nicht. Zu rigide waren ihr die Arbeitszeiten, zu nervig die Kunden, die fünf Minuten vor Ladenschluss noch etwas wollten. Und als sie mit dem Tauchen anfing, passte die Samstagsarbeit überhaupt nicht mehr in ihr Konzept. Sie machte ihr Hobby zum Beruf und es folgten zehn Jahre auf den Philippinen, in Kroatien und schliesslich in der Schweiz als Tauchlehrerin. Auch als sie das professionelle Tauchen aufgab, blieb sie der Branche treu, arbeitete in der Administration und in der technischen Ausbildung für eine Tauchausrüstungsfirma. Nach dem Umzug nach Oberwil-Lieli mit Kleinkind dann Teilzeit im Büro. «Das war praktisch.»
Im Flow wie beim Tauchen
Zur Floristik zurückgefunden hat sie trotzdem. 2016 fragte sie eine Freundin, ob sie eine Hochzeit ausrichten würde. Ravanello sagte zu und gründete kurzum die Blumengarage Augenweid («zum Glück wohne ich an einer so klingenden Adresse»). Sie beantragte die grüne Karte und besorgte sich einen Klapptisch. Und: Sie hatte Spass. Da die Freundin Gastronomin ist, ging es weiter mit Anlässen. Firmenjubiläen, Mitarbeiterehrungen und -verabschiedungen. Der Klapptisch wurde mit einer Werkbank ersetzt und seither arbeitet Ravanello in der Garage neben Töff und Fahrrädern. Zum ersten Mal macht ihr das Handwerk so richtig Freude. «Wenn ich mich in einen Auftrag vertiefe, empfinde ich eine fast meditative Ruhe. Dieser Flow hat sich erst in meiner Garage eingestellt. Es ist fast wie beim Tauchen.»
Bei grossen Aufträgen hilft ihr eine Floristenfreundin, die im Bündnerland lebt. Oft sei es etwas viel für zwei Personen. «Aber wir packen es mit viel positiver Energie an, ziehen es durch und freuen uns, wenn wir es wieder einmal geschafft haben.» Die Augen der 53-Jährigen funkeln hinter der grossen Brille, während sie mit tiefer, fester Stimme erzählt.

Der Preis der Freiheit
Die Blumengarage sei kein Hobbyprojekt, betont Ravanello. Sie erwirtschaftet im Durchschnitt ein 70-Prozent-Pensum. Sie kalkuliere sorgfältig, verrechne auch die Arbeit, kaufe immer mit einem Blick auf die Kosten ein. Sie habe gelernt, bei der Preisgestaltung nicht vom eigenen Portemonnaie auszugehen. «Zu teuer ist, was niemand mehr kauft», lautet ihre Devise. Mit hochwertigen Angeboten könne man sich auch viel eher von den Grossverteilern abheben, davon ist sie überzeugt. Dass sie Glück hat, eine wohlhabende Gemeinde zu bedienen, ist ihr bewusst. Diese bietet ihr zudem einige schöne private Abo-Aufträge.
Einen grosser Nachteil habe das Garagenkonzept aber. «Ich vergebe mir den persönlichen Kontakt, das Beraten im Laden», sagt Ravanello. Und sie müsse immer wieder viel erklären. Gerade wer sie auf Google finde, erwarte einen Blumenladen. Sie sei aber alles andere als das. Um für die Kundschaft trotzdem sichtbar zu sein, fotografiert sie, wenn sie ausliefert, die Blumen, und schickt das Bild per Whatsapp der auftraggebenden Person. «Das freut sie immer sehr!» Und sie kann deren Nummer speichern. Sie betreibt eine Whatsapp-Gruppe, auf der sie regelmässig («aber nicht zu häufig, sonst nervt es») informiert, was gerade Saison ist, was sie eingekauft hat. Auch ihren Whatsapp-Status bespielt sie: Das ist frisch, wer will? Das funktioniere für sie viel besser als Instagram. Manchmal kauft sie auf gut Glück ein, zum Beispiel Ranunkeln oder Hortensien, mit ein paar potenziellen Kundinnen im Kopf …
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