Leseprobe

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Das Geschäft
als Quelle der Kraft


Olivia Graf hat sich bereits 22-jährig selbstständig gemacht. Nun, 13 Jahre später, schaut sie auf Zeiten zurück, die ihr persönlich viel abverlangt haben. 

Der Name passt zur Örtlichkeit: Die Blumenecke liegt in einer grossen Kurve an der Romanshornerstrasse im Kreuzlinger Dorfteil Kurzrickenbach. In der Nachbarschaft stehen stattliche Riegelhäuser, vis-à-vis ist eine Bäckerei mit Café. Der Strassenraum scheint neu zu sein, und es sieht fast ein bisschen nach Aufbruchstimmung aus. Der Eindruck täuscht nicht. «Endlich können wir vorwärts schauen», sagt Olivia Graf, die Geschäftsinhaberin der Blumenecke. Im Sommer 2023 seien die fast vierjährigen Bauarbeiten in der Umgebung endlich abgeschlossen worden. In dieser Zeit wurde nicht nur die Strasse saniert, sondern auch gleich noch der Bach nebenan renaturiert.

Vier lange Jahre Staub, Dreck und Lärm; das braucht Durchhaltewille. Es habe deprimierende Phasen gegeben, erzählt Graf. Wenn wegen der Baustelle tagelang praktisch niemand den Laden betrat. Und dann war da noch Corona. «Aber zum Glück haben wir eine treue Stammkundschaft», sagt die 34-Jährige. Nun will sie endlich mit neuen Ideen durchstarten, Ideen, die zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht spruchreif seien. Das Geschäft wirkt Ende Februar noch etwas im Wintermodus: Die Auslage draussen ist der Jahreszeit entsprechend klein. Die Kasse, die in die Wand des benachbarten Schopfs eingelassen ist, zeigt aber, dass hier schon bald mit einem grösseren Angebot zu rechnen ist.

Inhaberin des Lehrgeschäfts

«Manchmal muss man durch eine schwierige Phase. Ich sehe darin aber auch immer das Positive», sagt die Floristin. Das sind in ihrem Fall keine Worthülsen. Als Olivia Graf sich vor 13 Jahren selbstständig machte, ahnte sie nicht, was schon sehr bald zusätzlich auf sie zukommen sollte. Um es vorwegzunehmen: Es war nichts, womit eine 22-Jährige rechnet. Dass sie in diesem Alter bereits ein Geschäft übernahm, war einer Gelegenheit zu verdanken, die sie nicht verpassen konnte. Der Laden liegt an ihrem Wunschort, und sie wusste, worauf sie sich einliess. «Ich habe hier die Lehre abgeschlossen», erzählt sie. Nach zwei Abstechern in andere Betriebe sei sie zurückgekehrt und kurze Zeit später kam das Angebot zur Übernahme. Graf ist in Kreuzlingen aufgewachsen und konnte sich einen Wegzug nicht vorstellen.


Olivia Graf (rechts) mit ihrer Mitarbeiterin Martina Felber.

Dass sie sich so jung zutraute, ein Geschäft zu übernehmen, ist unter anderem mit ihrem familiären Umfeld zu erklären. Ihre Eltern handeln mit Segelbooten, das eine Grosselternpaar führte ein Lebensmittelgeschäft, das andere ein Nähmaschinengeschäft. Graf hat das Geschäften also sozusagen in den Genen. Der familiäre Hintergrund sei immer ein Vorteil gewesen, weil sie so schon vieles mitbekommen habe. «Ich wusste, was es bedeutet, und was ich anders machen wollte. Und im Zweifelsfall war da jemand, den ich fragen konnte.» Das sei insbesondere in buchhalterischen Fragen ein Thema gewesen. Graf eröffnete die Blumenecke im Sommer 2011 mit einer Freundin und stürzte sich in die Arbeit. Sie deckte Fliesen ab und strich die Wände knallgrün. Besonders viel Energie steckte sie in ihre erste Adventsausstellung. Doch sie fühlte sich müde, irgendwie angeschlagen. Und dachte, es sei wohl die viele Arbeit. Zwischen Weihnachten und Neujahr ging es ihr immer schlechter, sie hatte Wasser in den Beinen und Atemnot. Der ärztliche Befund war ein Schock: Beide Nieren waren nur noch zu 40 Prozent funktionstüchtig. Graf musste sofort an die Dialyse. Dreimal in der Woche jeweils von 16 bis 22 Uhr. Am nächsten Morgen stand sie wieder im Geschäft …

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